OFFENER BRIEF – CMS-Workshop: Kritik an den Szenariorechnungen
Sehr geehrter Herr Bornkamm,
vielen Dank für die Präsentation der Szenarien zur Carbon-Management-
Strategie (CMS) des BMWK am 14.06. per Videokonferenz und den am 19.06.
übersandten Foliensatz der Präsentation von Prognos und Futurecamp. Dem von
Ihnen am Ende der Veranstaltung geäußerten Eindruck, dass die
Szenarioannahmen im Großen und Ganzen von allen Beteiligten geteilt werden,
muss ich jedoch deutlich widersprechen.
• Das Grundproblem der Modellierung ist, dass hier versucht wird, eine
Pipelineinfrastruktur für ausgewählte Industrieakteure zu optimieren.
Der Öffentlichkeit wird hingegen suggeriert, in der CMS fände eine
Bewertung der Klimaschutzwirkung alternativer Transformationspfade
mit und ohne CCS statt. Die Klimaschutzwirkung eines Hochlaufs von
CCS ist nicht erwiesen.
• Die Annahmen beschreiben historisch gewachsene fossile
Pfadabhängigkeiten, die zu einer Verfestigung der Probleme führen und
erst in der Folge eine CO2-Entsorgungsinfrastruktur als vermeintlich
„alternativlose“ Notwendigkeit erscheinen lassen.
• Ein innovatives Transformationsszenario, das frühzeitig ansetzt,
industrielle CO2-intensive Pfadabhängigkeiten an der Quelle reduziert
und damit nachgeschaltete Entsorgungstechnologien überflüssig macht,
bleibt in der Bandbreite der Szenarien unberücksichtigt.
• Entgegen der öffentlichen Zusage von Staatssekretär Udo Philipp auf dem
CMS-Workshop hat das BMWK keine Transformationsszenarien
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vorgelegt, die die CO2-Emissionen an der Quelle drastisch minimieren
und ohne CCS auskommen.
• Die alleinige Betrachtung der CO2-Emissionen an den Anlagen ist
unvollständig. Eine seriöse Berechnung muss alle Emissionen, die mit
dem Einsatz von CCS einhergehen (z.B. durch unvollst. Abtrennung, zu
erwartende Leckagen in der Transport- und Deponiekette) berücksichtigt
werden.
• Der massive zusätzliche Energieverbrauch durch den Hochlauf der CCS-
Technologie wird in den Szenarien nicht explizit berücksichtigt.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die vermeintliche Notwendigkeit von CCS
bereits in die Aufgabenstellung zur Szenarienbildung eingeflossen ist. Insgesamt
mussten wir in den Workshops in Ihrem Haus immer wieder feststellen, dass die
einseitige Vorfestlegung auf hohe Industrieemissionen auch nach 2045 und die
scheinbare Notwendigkeit der CO2-Abscheidung und -Verpressung die
notwendige kritische Reflexion der CMS-Strategie des BMWK verhindert.
Während die Szenarien noch nicht einmal vorgelegt wurden, wird im Entwurf
der Novelle des Klimaschutzgesetzes bereits ein Platzhalter für die zu
verpressenden CO2-Mengen gesetzt.
Konkret bitten wir Sie, folgende Punkte noch einmal auf die Tagesordnung zu
setzen:
• Die Grundannahmen für die Szenarienberechnungen sind aus unserer
Sicht nicht plausibel. Sie scheinen offensichtlich auf
Trendfortschreibungen zu beruhen, die aus Sicht von Greenpeace
angesichts der klimapolitischen Herausforderungen nicht schlüssig
nachvollziehbar sind.
• Die Annahmen zur Transformation des Industriesektors basieren auf
einem Status quo, der von einer jahrelang verschleppten Klimastrategie
im Industriesektor ausgeht.
• Die Annahmen zum Einsatz von blauem Wasserstoff sind nicht
nachvollziehbar. Es fehlen Angaben und Bewertungen zu den
Vorkettenemissionen bzw. eine Betrachtung der
Lebenszyklusemissionen (LCA).
• Auch die Angaben zur CO2-Halbwertszeit in CCU-Produkten sind nicht
schlüssig geklärt.
• Die Grundannahmen in den Szenarien CCU/S min und CCU/S med gehen
aus Sicht von Greenpeace nicht weit genug. Weitere Minimierungs-
schritte an der Quelle der CO2-Emissionen sind möglich, wurden aber
aufgrund der konservativen Annahmen nicht berücksichtigt.
Greenpeace und andere Verbände hatten in den bisherigen CMS-Workshops
wiederholt gefordert, auch innovative Ansätze zu verfolgen und zumindest im
CCU/S min-Szenario einen Ansatz zu verfolgen, der die CO2-Emissionen an der
Quelle deutlich reduziert.
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CCS dient in der aktuellen politischen Debatte als Vorwand, um den Umbau der
Industrie hin zu CO2-freien und ressourcen- und energiesparenden Produkten
und Prozessen weiter in die Zukunft zu verschieben. Eine auf rein technische
Verfahren verengte CO2-Management-Strategie (CMS) einschließlich des
Aufbaus einer großindustriellen CO2-Entsorgungsinfrastruktur dient einseitig
den Interessen der treibhausgasintensiven Energie- und Schwerindustrie.
Das BMWK-Referat „Dekarbonisierung der Industrie“ verengt die
Handlungsoptionen und Szenarioannahmen unzulässig auf die CO2 emittierende
Industrie. Was in ein Modell hineinkommt, kommt auch wieder heraus. Die
gesellschaftlichen Anforderungen an einen Umbau von Industrie und Wirtschaft,
Stichwort veränderte Baupolitik, Kreislaufwirtschaft und Reduktion unseres
Energie- und Rohstoffverbrauchs, sind für das BMWK offensichtlich keine
Option.
Es fehlt eine ergebnisoffene gesellschaftliche Debatte. Eine frühzeitige
Vorfestlegung auf einen bestimmten Technologiepfad wie CCS engt den
Handlungsspielraum für den Klimaschutz ein und verhindert Innovationen.
Gerne sind wir bereit, unsere Kritik an den Szenarien im Detail mit Ihnen zu
diskutieren. Wir hoffen, dass Sie im Rahmen der nationalen Carbon
Management-Strategie (CMS) alle Beteiligten mitnehmen und die
Szenarioannahmen noch einmal kritisch zur Diskussion stellen.
Mit freundlichem Gruß
Karsten Smid
Greenpeace e.V.
Klima & Energiebereich