Energiewende ist kein Pappenstiel
Ja nun, die Energiewende ist kein Pappenstiel. Sie ist tragender Bestandteil der vermutlich umfassendsten und tiefgreifendsten Umwälzung, die es in der Menschheitsgeschichte je gegeben hat. Es geht beileibe nicht nur um eine andere Technik der Energieerzeugung, sondern um die umfassende Transformation unserer gesamten Daseinsweise auf dem Planeten, unserer Wertvorstellungen und Strukturen.
Als wir entdeckten, dass man mit Feuer nicht nur Suppe kochen und die Hütte heizen, sondern Räder in fast beliebig kraftvolle Umdrehung versetzen kann, begann eine neue Phase. Davor mussten wir uns mühevoll – „im Schweiße unseres Angesichts“ – einen Lebensraum gegen die übermächtige und in vieler Hinsicht gefahrenvolle Natur erarbeiten. Danach kamen wir in die Lage, die Natur gewissermaßen in die Defensive zu drängen.
Früher war die jeweilige Gruppe für ihr Siedlungsgebiet verantwortlich. Durch die Technikentwicklung der letzten 250 Jahre und die damit einher gehende Vervielfachung der Bevölkerung beeinflussen wir den Planeten in seiner Gesamtheit. Uns Heutigen ist daher die Verantwortung für den ganzen Planeten zugefallen. Das haben wir allerdings noch nicht richtig bemerkt.
Wie man ein begrenztes Stück Land so bewirtschaftet, dass es seine Fruchtbarkeit auf Dauer behält, wissen wir. In einer Fabrik lassen wir Materialabfälle nicht herum liegen, bis sie an die Decke wachsen. Mitarbeiter schützen wir vor schädlichen Gasen.
Dass diese im Kleinen uns selbstverständliche haushälterische, „ökologische“ Verhaltensweise heute auf den Planeten insgesamt angewendet werden muss, haben wir noch nicht begriffen. Wir reichern Plastik-Abfälle in den Ozeanen an, dass sie Inseln von Erdteilgröße bilden. Die Atmosphäre benutzen wir als Deponie für gasförmige Abfälle, die den Klimawandel auslösen.
Unser Bewusstsein hat mit der technischen Entwicklung nicht Schritt gehalten. Es hängt noch in jenen Zeiten, als die Menschheit winzig und ihre Technik harmlos war, so dass die Ressourcen des Planeten und sein Aufnahmevermögen für Abfälle unendlich erscheinen mussten.
Wenn wir die Umweltprobleme, von denen die Klimaerhitzung das dramatischste, aber keineswegs einzige ist, lösen wollen, braucht es einen Bewusstseinssprung. Von der – heute infantilen, aber nach wie vor unser Handeln bestimmenden – Vorstellung, dass die Erde ein unendlich großer Kuchen ist, von dem jeder versucht, immer wieder ein neues Stück zu ergattern, müssen wir uns verabschieden. Der Planet ist endlich. Die auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsweise hat ihre Grenze erreicht. Der Übergang auf eine globale Subsistenzwirtschaft steht an. Der Planet ist ein einziger (riesiger und ungemein vielfältiger) Lebens- und Arbeitsplatz, für dessen sinnvolle Gestaltung und Bewirtschaftung der Menschheit die Verantwortung zugewachsen ist.
Diese Verantwortung anzunehmen, bedeutet, dass die gesamte Menschheit ein Team wird. Ein Team ist umso erfolgreicher, je besser es kooperiert. Jeder gibt sein Bestes, ohne insgeheim zu vergleichen, wie sich die anderen einbringen. Es freut und befriedigt ihn einfach, zum gemeinsamen Werk mit seinen Fähigkeiten optimal beizutragen.
Dass derzeit noch Konkurrenz, Kampf, Krieg, Lug und Trug vorherrschen, ist Überbleibsel aus einer Zeit, in der es oft Not gab und Überlebenskampf gegen die Naturgewalten. In jener Zeit liegen auch die psychischen Wurzeln des heutigen Superreichtums: Es war die Angst vor dem Verhungern, die zur ursprünglich sinnvollen und notwendigen Vorratshaltung, weiter zur Schatzbildung und schließlich zum nur noch pathologischen Superreichtum führte.
Letzterer ist bestrebt, die besagten Überbleibsel am Leben zu erhalten. Ebenso klammert er sich an die antiquierte Illusion, der Planet könne weiterhin unendlich ausgebeutet werden. Dadurch ist die Technik von Lebenserleichterung in Lebenszerstörung umgeschlagen. Die Auswirkungen der modernen Technik sind gefährlicher als die ungezähmte Natur jemals war.
Nein, die Brille der Vergangenheit taugt nicht für die Gegenwart! Es kann vom Planeten nicht unendlich genommen, es muss ihm auch gegeben werden. Dem Boden unseres Gartens müssen wir auch etwas geben, beispielsweise Kompost. Was der Planet dringend bräuchte, wäre sehr viel mehr Wald.
Das grundlegende Credo des Kapitalismus lautet: „Möglichst wenig geben und möglichst viel einheimsen“. Auf Jesus geht die gegenteilige Feststellung zurück: „Geben ist seliger als Nehmen“. Dies Wort eines der großen Menschheitslehrer entpuppt sich in der aktuellen Situation als Hinweis von großer unmittelbar praktischer Bedeutung. Offenbar kommt es zu einer Konvergenz von bisher einer eher praxisfernen ethisch-spirituellen Sphäre zugeordneten Werten und derzeit sichtbar werdenden ganz praktischen Überlebensvoraussetzungen.
Es gibt bereits Ansätze, das „Geben ist seliger als Nehmen“ mitten im Wirtschaftsgeschehen zu praktizieren: „Solidarische Landwirtschaft“, Fair Trade, gemeinwohlorientierte Unternehmen und vieles mehr. Gerade auch der Bereich der Energiewende mit seinen zahlreichen Genossenschaften ist von Teamgeist geprägt. So mancher hoch qualifizierte Fachmann ist hier tätig, der lieber am Aufbau der erneuerbaren Energieversorgung mitwirkt, als an anderer Stelle wesentlich mehr Geld zu verdienen.
Ob es solchen Ansätzen ermöglicht wird, sich schnell genug auf der Erde zu verbreiten, wird die Zukunft zeigen. Eines können wir in aller Ruhe feststellen: eine große Transformation wird es geben. Wenn nicht die vom Raubbau zur achtsamen und liebevollen Bewirtschaftung des Planeten, dann eine andere. Stillstand „weiter wie es schon immer war“ gibt es in dem Universum, in dem wir uns befinden, nicht.