Atommüll-Endlager: Nicht Ende, sondern Neubelebung der Atomenergie?
EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen hat vorgeschlagen, in der „Taxonomie“ Atomenergie und Erdgas als klimafreundlich und nachhaltig einzustufen. Wird es beschlossen, kommen diese beiden Energieformen in den Genuss von Fördergeldern, die den erneuerbaren Energien dann fehlen. In Deutschland läuft mit Hochdruck die Suche nach einem Endlager-Standort für hoch radioaktiven Müll. – Besteht da ein Zusammenhang? Soll das Müll-Endlager etwa grünes Licht für einen Neustart der Atomenergie geben, indem deren Manko – die ungeklärte Abfallfrage – dann beseitigt ist?
Aus folgendem Grund drängt sich diese Frage auf: Die gesetzlichen Regelungen legen keine maximale Größe des Endlagers fest! Wer meint, dass der in Deutschland bis 2022 produzierte Müll hineinpassen muss und das Kapitel „Kernenergienutzung“ damit abgeschlossen ist, täuscht sich. Das Lager kann weitaus größer werden als zur Aufnahme des bis 2022 angefallenen hoch radioaktiven Mülls erforderlich. Es lädt dann zur Anlieferung von weiterem Müll, mithin zum weiteren Betrieb von Atomkraftwerken ein.
In § 1 (6) des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle ist das angelegt: “Die Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle am auszuwählenden Standort ist zulässig, wenn die gleiche bestmögliche Sicherheit des Standortes wie bei der alleinigen Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gewährleistet ist.” Offenkundig eröffnet dies die Möglichkeit, schwach- bis mittelradioaktive Abfälle zunächst im Endlager unterzubringen, von dort aber in andere, für diese Kategorie ausreichende Lager zu verbringen, wenn im Endlager Platz für zusätzliche hoch radioaktive Abfälle benötigt wird.
Auf eine entsprechende Anfrage beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) erhielt BI-Sprecher Christfried Lenz eine diffuse Antwort, die die besagte Möglichkeit nicht verneint. (Anfrage und Antwort des BASE siehe unten)
Basis der bisherigen im Großen und Ganzen konstruktiven Begleitung des Endlagersuchprozesses durch die Bevölkerung war der Glaube, dass die Endlagerung der Abfälle gleichzeitig auch das Ende des „technologischen Irrweges Atomenergienutzung“ bedeutet. Nachdem sich dieser Glaube getäuscht sehen muss, dürfte die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Suchprozesses in der bisherigen Weise hinfällig sein.
Nachstehend die Anfrage von Christfried Lenz und die Antwort des BASE:
Anfrage:
Am 27.10.2021 um 11:44 schrieb Christfried Lenz:
Dr. Christfried Lenz
Apenburg-Winterfeld
Sehr geehrte Damen und Herren,
der §1 (6) des Standortauswahlgesetzes lautet:
“Die Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle am auszuwählenden Standort ist zulässig, wenn die gleiche bestmögliche Sicherheit des Standortes wie bei der alleinigen Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gewährleistet ist.”
Hierzu habe ich folgende Fragen:
- Verstehe ich richtig, dass für die Lagerung von Abfällen mit geringerer Radioaktivität im Endlager der gleiche Sicherheitsstandard verlangt wird wie für hochradioaktive Abfälle?
- Könnte das dazu führen, dass im Fall, dass auch nach 2022 hochradioaktive Abfälle anfallen würden, die geringer radioaktiven Abfälle anderweitig untergebracht würden, um im Endlager Platz für zusätzliche hochradioaktive Abfälle zu schaffen?
Mit bestem Dank für eine baldige Antwort und freundlichen Grüßen,
Christfried Lenz
Antwort des BASE am 03.12.2021:
Sehr geehrter Herr Lenz,
nochmals vielen Dank für Ihre Bürgeranfrage an unser Haus sowie das Verständnis für unsere verzögerte Antwort.
In Ihrer Mail beziehen Sie sich auf den Absatz 6 des § 1 des Standortauswahlgesetzes, wonach „die Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle am auszuwählenden Standort […] zulässig [ist], wenn die gleiche bestmögliche Sicherheit des Standortes wie bei der alleinigen Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gewährleistet ist.“
Der Gesetzgeber hat mit der Verordnung über Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle vom 06.10.2020 klargestellt, dass eine gemeinsame Endlagerung am selben Standort nur durch eine sowohl technisch-logistische als auch räumliche Trennung der Abfallarten in getrennten, also separaten, Endlagerbauwerken stattfinden kann (Abschnitt 6, § 21 (2)). Fachlich ist dies zu unterstützen, da schwach-, mittel- und hochradioaktive Abfälle unterschiedliche Eigenschaften haben, die für die jeweilige Endlagerkonzeption zu berücksichtigen sind.
Im Rahmen des Standortauswahlverfahrens für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle („Standortauswahlverfahren“) ist für die Bewertung eines Standorts zunächst die Sicherheit der hochradioaktiven Abfälle entscheidend. Eine Prüfung, ob an einem solchen Standort auch ein weiteres Endlagerbergwerk für die zusätzliche Endlagerung größerer Mengen von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen möglich ist, findet im Rahmen des Standortauswahlverfahrens zunächst durch die Bewertung des Platzangebots statt. Im weiteren Verlauf des Standortauswahlverfahrens müssten dann noch weitergehende Betrachtungen hinzukommen, beispielsweise hinsichtlich möglicher (geo-)chemischer Einflüsse der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle auf die hochradioaktiven Abfälle.
Dies vorab, gerne beantworten wir nun Ihre Fragen:
1. Verstehe ich richtig, dass für die Lagerung von Abfällen mit geringerer Radioaktivität im Endlager der gleiche Sicherheitsstandard verlangt wird wie für hochradioaktive Abfälle?
Größere Mengen schwach- und mittelradioaktiver Abfälle werden nicht im gleichen Endlagerbergwerk endgelagert, wie die hochradioaktiven Abfälle. Die Sicherheitsanforderungen an ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle müssen aus den spezifischen Eigenschaften dieser Abfälle – sobald diese bekannt sind – entwickelt werden und können sich daher in ihrer jeweiligen Ausführung gegebenenfalls auch von den Sicherheitsanforderungen an das Endlager für hochradioaktive Abfälle unterscheiden. Für eine eventuelle Genehmigung eines solchen Endlagers am gleichen Standort wären also zwei Bedingungen zu erfüllen: dass die Sicherheitsanforderungen für die schwach- und mittelradioaktive Abfälle erfüllt werden sowie dass ein solches Endlagerbergwerk keinesfalls die bestmögliche Sicherheit für das für diesen Standort vorgesehene Endlager für hochradioaktive Abfälle gefährdet.
2. Könnte das dazu führen, dass im Fall, dass auch nach 2022 hochradioaktive Abfälle anfallen würden, die geringer radioaktiven Abfälle anderweitig untergebracht würden, um im Endlager Platz für zusätzliche hochradioaktive Abfälle zu schaffen?
Mit dem gesetzlich festgelegten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie in Deutschland kann ein weiterer Anfall hochradioaktiver Abfälle aus der Energieerzeugung derzeit ausgeschlossen werden. Darüber hinaus würde es sich, wenn es zur Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle am Standort des Endlagers für hochradioaktive Abfälle käme, um zwei getrennte Endlagerbauwerke mit wahrscheinlich unterschiedlichen Sicherheitsanforderungen und unterschiedlichen Sicherheitskonzepten handeln. Ein einfaches Einbringen zusätzlicher Mengen an hochradioaktiven Abfällen in ein für schwach- und mittelradioaktive Abfälle geplantes und genehmigtes Endlager ist sicher auszuschließen.
Wir hoffen, Ihnen damit weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Judith Windszus
i.A. Judith Windszus
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung