7 Thesen zur Energiepolitik und ihren Gesellschaftsstrukturellen Hintergründen

7 Thesen zur Energiepolitik und ihren Gesellschaftsstrukturellen Hintergründen

September 10, 2022 0 Von Christfried Lenz

– Die Zitate stammen aus „Hermann Scheer: Der Energethische Imperativ“ –

1.)

Das Fazit der Stellungnahme des Runden Tisches Erneuerbare Energien (RTEE) zum Referentenentwurf des „Osterpakets“ lautete:

Es gibt nur noch eine Option: Sämtliche Schleusen für die erneuerbaren Energien müssen geöffnet werden. Die Bürokratie muss weg. Die Bevölkerung ist aufzurufen, völlig autonom zu handeln: Nicht anders als wenn man sich eine Heizung oder eine Waschmaschine kauft, sollen Solarmodule, Batterien, Laderegler und Wechselrichter angeschafft werden können. Alle, die es irgend ermöglichen können, sollen allein, zusammen mit Nachbarn, als Mietergemeinschaft, wie auch immer, Strom erzeugen.Wir benötigen jede erneuerbare Kilowattstunde, denn wir befinden uns in einerNotlage.“

Damit hätte die „Entfesselung“ der Bürgerenergie stattgefunden, die das Bündnis Bürgerenergie postuliert.

Es würde der Weg eingeschlagen, den Hermann Scheer folgendermaßen kennzeichnet: „Der politische Schlüssel für den Energiewechsel besteht darin, den bestehenden energiewirtschaftlichen Handlungsrahmen aufzubrechen. … Ein schneller Energiewechsel bedarf zahlreicher autonomer Akteure, die mit ihren Initiativen nicht warten wollen und auch nicht abwarten müssen, was andere tun.“ (S. 27)

Dass das Fazit des RTEE von der Energiewendebewegung breit unterstützt, geschweige denn von der Bundesregierung aufgegriffen worden wäre, ist nicht der Fall. Dennoch ist es wertvoll, dass diese Sätze im Raum und zur Verfügung stehen.

Sie sind Hinweis auf die Möglichkeit der Türöffnung vom konventionellen Energiesystem mit dem ihm entsprechenden Rechtsrahmen hin zur Entwicklung einer neu gearteten Gesellschaft: „sozialere Verteilungsverhältnisse, Produktionsweisen und wirtschaftliche Strukturen“ (Scheer S.166).

2.)

Gleichzeitig gibt es Versuche, einzelne Änderungen am bestehenden Rechtsrahmen zu veranlassen, die den dringend erforderlichen exponentiellen Ausbau der Erneuerbaren anstoßen könnten.

Beispielhaft seien genannt

  • die zahlreichen von Hans-Josef Fell an Bundesregierung und/oder Parlamentarier gerichteten Vorschläge,
  • die von Ingo Stuckmann (Grüne) u.a. erarbeitete Studie mit konkreten Vorschlägen zur rechtzeitigen und sicheren Versorgung durch Erneuerbare Energien im kommenden Winter,
  • der von Hans-Josef Fell, Dr. Axel Berg und Prof.Dr. Eicke Weber an die Bundesregierung gerichtete Vorschlag, das Amt eines/r „Bundesbeauftragten für Erneuerbare Energien“ einzurichten.

Verhindert werden konnte die zunächst geplante Streichung der kleinen Wasserkraft und der Bioenergie aus dem EEG. Dass diese Verschlechterungen abgewehrt wurden, ist erfreulich, steht aber in keinem Verhältnis zu dem, was nötig wäre. Wie die Regierung auf die übrigen Vorschlägen reagiert hat, ist (mir) nicht bekannt.

3.)

Wälder brennen weltweit, auch in Deutschland in bisher nicht erlebtem Ausmaß. Das Holz gibt seinen Kohlenstoffgehalt in Form von CO2 in die Atmosphäre. Wasser, das bereits so knapp ist, dass vielerorts die Feldbewässerung eingeschränkt wird, muss in immensen Mengen zum Löschen verwendet werden. Die Motoren der Löschflugzeugen und Hubschraubern reichern die Luft zusätzlich mit Klimagasen an. Die Lage ist verzweifelt. Die Löschaktivitäten verstärken die Voraussetzungen für die nächsten Brände. – Dies nur mal als uns gerade nahe liegendes Beispiel.

Was macht die Bundesregierung:

  • Energieumstellung im großen Stil auf LNG, den klimaschädlichsten Brennstoff überhaupt. Das LNG-Beschleunigungsgesetz, das von Umweltauflagen entbindet, wird in Rekordtempo durch den BT gebracht.
  • Kohleaustiegsgesetz wird gekippt
  • Atomausstiegsgesetz wird gekippt.

Was macht die Bundesregierung nicht:

  • Das “Aufbauhilfe-Fonds-Errichtungsgesetz 2021“, welches so aus der Zeit gefallen ist, dass darin die Erneuerbaren Energien nicht einmal vorkommen, wird nicht gekippt. Dieses Gesetz ist in Stein gemeißelt und unveränderlich. Dass dadurch das geplante Energiewende-Leuchtturm-Projekt „Ahrtal wird Solartal“ verhindert wird, hält die Regierung offensichtlich für angebracht.
  • Der Ukraine-Krieg wurde durch die Energiepolitik der Merkel-Regierungen seit 2010 wesentlich mit verursacht, da die Ausbremsung der Erneuerbaren Energien zur Abhängigkeit vom russischen Gas führte, was Putin den Aufbau seiner Militärmacht ermöglichte. Die Ampel-Koalition hätte jetzt die Möglichkeit, diesen klima- und außenpolitischen Fehler mit seinen unabsehbaren Folgen zu korrigieren, indem sie den Ausbau der Erneuerbaren maximal forciert. Doch das Gegenteil geschieht.
  • Außer dem Namenszusatz, den das Wirtschaftsministerium erhalten hat, sucht man die Sorge um das Klima vergeblich. Auf eine Anfrage des RTEE, ob die BR beabsichtige, angesichts der teilweise durch deutsche Waffen verursachten kriegsbedingten zusätzlichen Treibhausgasemissionen die Schritte zur Einhaltung der Pariser Klimabeschlüsse anzupassen, kam die Antwort, dass dies nicht beabsichtigt ist. Eine Begründung für das Fehlen der Absicht gebe es nicht.
  • Bekanntlich wurde die einst blühende deutsche Solarindustrie ausradiert. Derzeit gibt es Lieferengpässe für Solar-Komponenten. Regierungsmitglieder bereisen den Globus, um Erdgas und LNG zu akquirieren. Dass sie sich um die Beseitigung der Solar-Engpässe bemühen würden, vernimmt man nicht.
  • In den Jahren nach 2010 wurden ca. 100.000 Arbeitsplätze in der Solarbranche gezielt vernichtet. Diese Fachleute fehlen heute. Dass die Regierung Ausbildungsprogramme für Solateure organisieren und fördern würde, vernimmt man nicht.
  • Wenn es um Wegöffnung und Förderung geht, denkt die Regierung nicht an die Erneuerbaren. Bezüglich Einbeziehung in die Übergewinnbesteuerung erinnert sie sich ihrer aber sofort.
  • Dass die in der EU-Erneuerbaren-Richtlinie vorgeschriebene Ermöglichung von Energy Sharing und gemeinsamer Eigenversorgung nicht in deutsches Recht umgesetzt wurde, ist ein Rechtsbruch, gegen den das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) beim Europäischen Gerichtshof Klage eingereicht hat. Bis diese zur Verhandlung kommt, ist allerdings mit einem Zeitraum von 6 bis 7 Jahren zu rechnen (so geartet ist das Rechtswesen). Als sich die Bildung der Ampel-Regierung abzeichnete, erwartete man, dass es eine von deren ersten Handlungen sein werde, diesen Rechtsbruch aus der Welt zu schaffen. In den Koalitionsvertrag wurde das auch aufgenommen, umgesetzt aber weiterhin nicht. – Man vergleiche dies wieder mit den Tempi, die im Fall von Wohltaten für die Konventionellen hingelegt werden!

4.)

Mit Unbedachtheit, Unaufmerksamkeit, Vergesslichkeit oder dergleichen lässt sich das Regierungshandeln nicht erklären. Ganz offensichtlich haben wir es mit einem systematischen Vorgehen zu tun, dessen Prinzip darin besteht, die konventionelle Energieerzeugung zu bevorzugen und die Erneuerbaren zu benachteiligen.

Dabei handelt es sich nicht um eine bloß innerdeutsche Angelegenheit. Es sei an die EU-Taxonomie erinnert, die Erdgas und Atom völlig ungerechtfertigt das Prädikat „nachhaltig“ erteilt hat.

Es sei auch an Bill Gates erinnert, der sich mit dem Buch “Wie wir die Klimakatastrophe verhindern” in die Diskussion einmischte mit dem hauptsächlichen Ziel, eine von ihm mit sehr viel Geld vorangetriebene neue Generation kleiner Atomkraftwerke ins Gespräch zu bringen.

Und es sei daran erinnert, wie sich die USA und Russland bereits in Stellung bringen, um das Erdgas unter der Arktis, sobald es durch weiteren Temperaturanstieg zugänglich wird, zu beanspruchen und diesen Anspruch mit militärischen Mitteln zu untermauern.

Dass dadurch die Klimaerhitzung ins Unermessliche getrieben wird, spielt auf dieser Ebene keine Rolle. Man geht dort davon aus, dass es für jedes Problem eine technische Lösung geben wird – vielleicht nicht für die gesamte derzeitige Menschheit, aber für deren „hoch entwickelten“ Teil. Im Übrigen interessiert sich das profitorientierte Denken seinem ganzen Wesen nach ohnehin nicht weiter als eine Generationenspanne für die Zukunft. Dass die fossilen Brennstoffe und das Uran bei Fortsetzung des derzeitigen Verbrauchs (diese Möglichkeit jetzt nur mal als Denkmodell unterstellt) in 100 bis 150 Jahren zu Ende gehen werden und dass dann die Sonne die einzige Energiequelle ist, darüber machen sich die heute lebenden Profiteure keine Gedanken.

Man muss davon ausgehen, dass die Ampel-Regierung sich diesen immer noch mächtigen Kräften angepasst hat. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn schon immer waren es die Wirtschaftsmagnaten, die hinter den parlamentarischen Kulissen die Strippen gezogen haben.

5.)

Warum wollen die Führer des überkommenen Energie-, Wirtschafts- und Politiksystems die Erneuerbaren Energien nicht? – Ganz einfach: weil dieses System und die Erneuerbaren Energien nicht kompatibel sind. Das bestehende System ist zustande gekommen durch Erfindungen und Technikentwicklungen, die ihren Leistungsgipfel in der Installation weniger großer zentralistischer Einheiten erreichen.

Die Photovoltaik bringt völlig entgegengesetzte Gegebenheiten mit sich: Kleinteiligkeit, Dezentralität, Millionen von Kleinerzeugern statt weniger Großkonzerne. Dieser Wechsel kann sich unmöglich in den Strukturen vollziehen, die aus der Nutzung von fossiler und atomarer Energie entstanden sind.

Wie die im 19. Jahrhundert entstandene Großindustrie nicht in die Strukturen des auf der Agrarwirtschaft basierenden Feudalismus passte, sondern die gesamte Gesellschaft radikal umwälzte, so bringt auch der Wechsel auf die Erneuerbaren Energien notwendig völlig neue Strukturen mit sich. Die Energiebereitstellung wird von großen Teilen der Bevölkerung eigenverantwortlich durchgeführt. Dies stärkt das Selbstvertrauen von Millionen von Individuen. Es kommt zu einer breiten Emanzipation, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat.

In solchem Umfeld stirbt das Interesse an scheinbarer Selbstverwirklichung durch Anhäufung ungeheurer materieller Reichtümer. Machtausübung via extremen Kapitalbesitz wird es nicht mehr geben. Die derzeitigen Magnaten wollen sich und ihren Daseinsstil aber nicht aufgeben. Deswegen tun sie alles, um die Erneuerbaren klein zu halten und ersinnen Geschäftsmodelle, um auch sie unter ihre Kontrolle zu bringen.

Doch auch wenn dies teilweise gelingt, bleiben die EE für sie ein gefährlicher Faktor. Mit wachsender Emanzipation werden sich Individuen der Kontrolle entziehen. Die PV ist – auch in unseren Breiten – bereits die billigste Art, Strom zu erzeugen. Die EE sind klima- und umweltfreundlich. Und was vielleicht wichtiger ist als alles andere: ihr „gesellschaftlicher Wert“, wodurch sie zum „Kulturgut“ werden. Scheer: „Mit der Möglichkeit der autonomen Verfügbarkeit erneuerbarer Energien wird Energie vom bloßen Wirtschafts- und Konsumgut zum Kulturgut. … Aus der >passiven Energiegesellschaft<, mit immer weniger und dabei immer größer werdenden Anbietern einerseits und gleichgeschalteten und verplanten Energiekonsumenten andererseits, wird die >aktive Energiegesellschaft<, in der die Energieversorgung in wachsendem Maße autonom erfolgt, in zahlreichen neuen Trägerformaten.“ (S. 169) Dies wollen die Spitzenkräfte des bestehenden Systems unter allen Umständen verhindern.

6.)

Während die vor der Wahl von den jetzigen Regierungsparteien erweckten Erwartungen und gegebenen Versprechen wie Sand durch die Finger rieseln, wird die Bevölkerung eigenständig aktiv. Wir erleben einen Run auf die PV, wie schon lange nicht mehr. Das ist die Dialektik der explodierenden Energiepreise: Endlich erkennt die Bevölkerung, dass die Sonne keine Rechnung schickt.

So mancher verkürzt die Wartezeit wegen überlasteter Betriebe, indem er oder sie selber Hand anlegt. Der Solarenergie Förderverein (SFV) und „Metropol Solar“ unterstützen diese Bewegung vorbildlich, indem sie z.B. Nachbarschaftsparties organisieren und Solarberater ausbilden. Das sind die Ansätze, aus denen sich sehr viel entwickeln kann! Sie sollten sich flächig über das ganze Land ausbreiten. Scheer: „Die zur Ablösung der konventionellen Energien führende technologische Revolutionierung der Energieversorgung kann sich nur über viele unabhängige Initiativen an vielen Plätzen entfalten, nicht über eine technokratisch durchgeführte Planifikation durch politische und wirtschaftliche Entscheidungseliten, die diesen Prozess zeitlich und räumlich gestaffelt organisieren.“ (S. 159) Und: „Die Menschen haben deren [der erneuerbaren Energien] elementares Potenzial erkannt, mehr als es den meisten Regierungen bewusst ist und als es die überkommene Energiewirtschaft wahrnehmen will.“ (S. 259)

7.)

Aktuell kommt es darauf an, dass die Energiewende-Akteure sich Klarheit darüber verschaffen, wie das Politiksystem mit seinen psychologisch raffiniert ausgeklügelten Kommunikations- und Handlungsmethoden funktioniert. Die in den 1990er Jahren betriebene offene Ablehnung der Erneuerbaren wird heute von einer Befürwortung abgelöst, die sich allerdings „mehr in Worten als im Denken und in Taten“ abspielt. „Vollmundige Bekenntnisse von Regierungen und Energiekonzernen, in denen der Eindruck vollen Engagements für erneuerbare Energien geweckt wird, trüben den Blick für die praktischen Prioritäten.“ (Scheer S. 10). Dies beschreibt die aktuelle Situation treffend. Das Spiel besser zu durchschauen, kann als unsere derzeit wichtigste Aufgabe bezeichnet werden.

Christfried Lenz, September 2022